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ZUM ENTSTEHEN DES STÜCKS
Als Kind saß ich gerne inmitten der bäuerlichen Großfamilie und lauschte den Geschichten von früher, natürlich auch denen über den Krieg. Krieg, das wurde mir bewusst, ist entsetzlich; doch in der Geborgenheit der Bauernstube trat der Schrecken des Krieges zurück, und die Menschen jener Zeit nahmen Gestalt an und formten sich zu Bildern, die sich tief einprägten; zum Beispiel das Dröhnen der amerikanischen Panzer, die den Hof besetzten oder der Großvater der seine SA-Uniform verbrannte. Ein junger amerikanischer Besatzungssoldat schenkte meiner Mutter, damals 14 Jahre alt, Schokolade und Pfirsiche oder Josef, der polnische Zwangsarbeiter, der aus Freude über seine Freiheit den Hut meines Großvaters an sich nahm. Das alles und noch weiteres hat mir meine Mutter erzählt, und so findet sie, wie die anderen, Eingang in mein Stück und heißen Lisa, Bill oder eben Josef. Ein besonderer Dank gilt einer Frau, deren eigenes Schicksal, ich in Worte fassen durfte. Stefanie Schmidt, geborene Stefania Dziedzc war 1940 in ihrer Heimatstadt Zamosc (Ostpolen) zusammen mit anderen jungen Männern und Frauen zwangsweise nach Deutschland verbracht worden, um dort bei Bauern zu arbeiten. Nur wenig Zeit blieb ihr zwischen Benachrichtigung und Abtransport, um ihrer Familie, ihrer Heimat Lebewohl zu sagen und unter der entsetzlichen Angst leidend, dass sie alle getötet würden. Sie hatte Glück, sie überstand den Transport und kam in ein kleines hessisches Dorf. Dort hatte der Bürgermeister Papiere zur Hand, die besagten, dass sie mindestens 18 Jahre alt wäre und freiwillig zur Arbeit gekommen sei. Das glaubten die Bauern nur zu gerne, auch wenn sie Kinder aufnahmen und hart für sich arbeiten ließen, die weit jünger als 18 waren. Noch heute hält sich diese „Lüge“ in den Köpfen mancher aus dieser Generation, dass die jungen Menschen aus Polen freiwillig gekommen wären. Stefania, im Dorf Steffka genannt, war völlig der Willkür der ersten Bauernfamilie ausgesetzt und musste viel Hunger leiden (s. Szene 3 Theresa: „Fliegen in Suppe“). Bei der zweiten Bauernfamilie ging er ihr gut, und sie blieb nach dem Krieg verheiratet in einem benachbarten Dorf. Aus Stefania wird in meiner Geschichte Theresa. Ein Schicksal, das mich sehr berührt. Lene ist neben Lisa und Theresa eine der drei zentralen Frauen im Stück, deren Liebe zu Pascal, dem französischen Kriegsgefangenen, ihre Tochter Anna hinterlässt, die nichts von ihrem wahren Vater weiß. Einen Tag vor ihrer Hochzeit in 1965 erfährt sie davon und löst damit den Rückblick in die letzten Wochen vor Kriegsende aus. Ihr Schicksal geht einher mit dem Schicksal vieler „Kriegskinder“, deren wahrer Vater nie genannt wurde, und manche Töchter und Söhne erfuhren erst im Alter davon. Eine ähnliche Geschichte ist mir anvertraut worden, und noch heute ist dieses Geschehen für die Betroffene noch längst nicht abgeschlossen. In Oberrosphe selbst habe ich in Gretel Fourier (Mitgründerin und langjährige Führerin des Dorfmuseums „Alter Forsthof“) eine Wissensquelle der besonderen Art. Sie hat im Laufe von 25 Jahren einen wahren Schatz an Erinnerungen angehäuft und größtenteils in Schriften festgehalten. Geschichtswissen einerseits und Geschichtenerzählen andrerseits zeugen von einer leidenschaftlichen Suche nach immer neuen Spuren aus der Vergangenheit. Nicht die Romantisierung steht dabei im Vordergrund, sondern der genaue Blick in einen harten Alltag mit seiner allgegenwärtigen Diskriminierung der Frau. Der Ernsthaftigkeit ihres Anliegens entbehrt keineswegs die Komik mancher Geschichten. Ich habe ihr eine ganze Reihe von Szenen zu verdanken, die auf ihre Berichterstattung fußen: „Die Zaunguckerinnen“. Ein Blick der Bauersfrauen über den Zaun hinüber zu den Amiliebchen. Die „Hamsterszene“ mit der gierigen Bäuerin, die im Tausch gegen allerlei Waren, nur schrumpelige Kartoffeln verteilt. (siehe Gretel Fourier „Woes härrer da) „Das Lied vom Bill“, ein spöttisches, aber zugleich sehnsüchtiges Jungmädchenlied über die Soldatenliebe. Die Szene „Umkleiden“ (siehe Gretel Fourier „Sich vornehm onzije“) hat sie selbst erfahren. Sie weiß wie es sich anfühlt aus der Bauerntracht in die städtische Kleidung zu schlüpfen. Die Szene „Schwarzbuttern“. Darüber hinaus ist die dörfliche Ausdrucksweise von ihr überarbeitet worden, und immer wieder konnte ich mich mit Fragen an sie wenden. Hannes Schwarz möchte ich gleichfalls erwähnen, der aus seiner Jungendzeit die eine oder andere Anekdote zu berichten wusste. Eine davon ging in mein Stück ein: Die Bauersfrau die von ihrem Mann aus dem Krieg berichtet, dass er aus Warschau schrieb, irgendwo in den Vogesen…. Renate Audick habe ich die Szene: „Die Schlesier“ zu verdanken, die sie selbst geschrieben hat. Als 5 jährige mit ihrer Mutter aus Niederschlesien geflüchtet, liegt dieser Szene die Realität des Erlebten zugrunde. Die Figuren des Oskars, der Klara und der Erika sind vor diesem Hintergrund entwickelt, aber frei erfunden. Den Klang der schlesischen Sprache hat sie bei ihren älteren Geschwistern aufgefrischt und an Karin Wolf vermittelt, die die Klara spielt. Fremde Sprachen wechseln sich ab im Dorf. Glücklicherweise fand ich Menschen in Wetter und Oberrosphe, die französischer, polnischer oder amerikanischer Herkunft sind. Ich danke ihnen für ihre Bereitschaft meine Texte zu übersetzen und das jeweils typische Herauszuarbeiten. Für das französische: Catherine Schramm Für das polnische: Jacklin Moldenhauer-Dersch Für das amerikanische: David Curtis Zum Schluss möchte ich Herrn Dr. Kurt Kliem herzlich danken, dass er sich meiner Geschichte annahm und sie im Hinblick auf historische Korrektheit durchgesehen hat. Das Stück fußt auf Berichten von Zeitzeugen, ist jedoch fiktiv und in einen theatralischen Rahmen gefasst. Für mich ist es ein Rückblick in die Vergangenheit von Eltern und Großeltern, eine Zeit, die furchtbar war, die aber die Wurzeln der eigenen Existenz bedeutet. Eine Zeit, in welcher die Abwertung anderer Völker in einem entsetzlichen Inferno mündete, doch wo das individuell menschlich gute Verhalten nicht gänzlich untergegangen war. Mein Blick richtet sich vor allem auf die vielen kleinen Begebenheiten zwischen Menschen der unterschiedlichsten Herkunft und auf die Liebe zwischen ihnen. Diejenigen, die durch Staatswillen Feinde sein sollten, haben dank ihrer Liebe oder Zuneigung zueinander diese Mauer durchbrochen.
Im Juli 2007
„Bruno“ Heß
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